Das Geheimnis des Kalkofens - Zeuge einer in Vergessenheit geratenen Baukultur
Wer im Gargellental auf Steinhaufen und Reste runder Mauern stößt, macht Bekanntschaft mit den letzten Zeugen eines der ehemals wichtigsten Bauhandwerke der Region, des Kalkbrennens. Für Wanderer, die ihre Augen offen halten, gibt es im Gemeindegebiet von Gargellen eine Vielzahl solcher Ruinen zu entdecken. Dieser Kalkofen hier ist aufgrund seiner freigelegten Form als Bodendenkmal allerdings einzigartig im Montafon.
So ziemlich überall, wo Kalk und Dolomit vorhanden sind, wurde im 19. Jahrhundert Kalk gebrannt. In Gargellen war das nicht anders, denn es verfügt über große Vorkommnisse reiner Kalkbestände, die in ihrer gebrannten Form weit über die Talgrenzen hinaus bekannt und begehrt waren. Zu finden waren die meisten Kalköfen aus praktischen Gründen in der Nähe bewaldeter Kalksteingebiete. Denn die schwerste Komponente beim Kalkbrennen ist der unbearbeitete Kalk, während der fertige Rohkalk nur noch die Hälfte des ursprünglichen Gewicht hat.
Die Technik der Kalkbrennerei in den Alpenraum gebracht haben mit größter Wahrscheinlichkeit die Römer. Ausgebaut und etabliert wurde sie von den örtlichen Handwerkern. Für den Bau eines Kalkofens benötigten sie Urgestein zur Konstruktion des Ofens, Kalksteine in kopfgroßen Stücken zur Bearbeitung und natürlich genügend Holz zum Brennen. Der Ofenbau war allerdings alles andere als eine einfache Sache, denn jeder Brand sprengte stets auch das Gestein des Ofens. Dieser musste damit vor jedem Einsatz aus Fels in mühseliger Handarbeit neu errichtet werden.
Stolze 30 bis 40 Kubikmeter Brennholz waren erforderlich, um eine Ofenfüllung an Kalk nach immerhin drei Tagen Brennzeit verkaufsfertig zu wissen. Tag und Nacht waren die Heizer am Feuern, um die extremen Temparaturen zwischen 900 und 1200 Grad Celsius zu erzeugen. Diese waren nötig, damit sich das CO2 aus dem Kalk löste. Blauer Rauch zeigte schließlich das Ende jedes Brennvorganges an. Als bevorzugte Brennzeit galt der Spätherbst, damit die Käufer ihren Kalk bequem mit dem Schlitten abholen konnten. Schon die Rätoromanen haben den Kalk für ihre gemauerten Häuser hier im Tal gewonnen. Auch die zwischen 1611 und 1617 erbaute Gargellner Kirche ist vollständig aus lokalem Kalk gefertigt. Als Brennmeister in Gargellen machte sich um 1800 Lukas Lächthaller vom Neuberg einen Namen. Einer der letzten Kalkbrenner, das Stockerli oder Schwöbli vom Hof genannt, besaß in Vergalden ein Maisäß und tat sich hervor, indem er die Holzmenge für einen Produktionsgang recht ordentlich zu reduzieren wusste.
Das war auch bitternötig, denn das Brennholz wurde immer rarer. Davon zeugt unter anderem ein aufgebrachter Leserbrief aus dem Juli 1892 im Vorarlberge Landboten. Darin zeigte sich ein Professor Johann Schnarf, in Wien lebender St.Gallenkircher und einer der zahlreichen Freunde Gargellens, besorgt bis erbost über das unverhältnismäßige und zudem widerrechtliche Abholzen der letzten Zeit. Dieses ging natürlich auf das Konto des örtlichen Kalkbrenners. Dass diesem auch das Amt des Forstwartes, der Genehmigungen für Waldrodungen erteilen konnte, zu eigen werden sollte, befand der Schreiber äußerst unsinnig. Damit kam ein kleiner "Holzskandal" ans Licht, der eine Ende des allzu rigorosen Ressourcenabbaus mit sich brachte.
Ende des 19. Jahrhunderts kam es durch die industrielle Entwicklung schließlich zu einer Wende der Kalkgewinnung. Denn Kalk konnte nunmehr unabhängig vom Bedarf produziert und gelagert werden, während frühere Generationen konkrete Bauvorhaben zum Anlass nahmen, einen Kalkofen zur Kalkgewinnung zu bauen. Damit wurden die kleinen, eher wenig rentablen Betriebe schließlich zum Aufgeben gezwungen, womit ein Handwerk - reich an Tradition und Fachwissen - sein Ende fand.