Skitour-Schnuppertag inmitten der 3000er der Silvretta

Der Blick ganz oben auf der Passhöhe, die das Vorarlberger Montafon mit dem Tiroler Paznaun verbindet – er nimmt einem den Atem. Umgeben vom Weiß, ganz im Off, rundum Gipfel – und Stille. Noch im Sommer auf der Silvretta-Hochalpenstraße mit dem Bike immer wieder von Autos, Motorrädern und Bussen überholt, herrscht jetzt im tiefverschneiten Winter einfach nur Ruhe und Idylle. Kaum Menschen, kein Fahrzeug. Kein Wunder, hier kommt man nur abenteuerlich hoch.

Servus Jonny!

Treffpunkt ist bei Sport Stöckl in Partenen. Unser Bergführer ist schon da – wie cool, es ist Jonny, servus! Mit ihm hatte ich schon mal einen Bergsteigerkurs ausgehend von der Saarbrücker Hütte gemacht. Spaß, professionelles Engagement und viel Wissensvermittlung sind also vorprogrammiert. Der Service bei Ausrüstungsverleih Stöckl ist spitze: Schuhe und Tourenski werden sorgsam ausgesucht und die Funktion ausführlich erklärt. Und prompt steht auch der Tourenrucksack inklusive Felle, Sonde, Schaufel und LVS-Gerät bereit. Einsteiger machen gleich eine neue Erfahrung, fast schon als neue Lebenseinstellung: Vergiss all den Schmarrn, den man sonst so mit sich schleppt und stecke nur noch Sonnencreme, Smartphone und Geldbeutel ein. Achso, ja, ein Mittagessen mit Getränk sind im Programm dabei :).

Moments of Happyness Impression #1

Der Lawinenlagebericht ist purer Luxus

So lernen wir den Lawinenlagebericht lesen. Das Verrückte: Verschiedenste Köpfe der Lawinenkommission brüten über aktuelle Daten und Vor-Ort-Situationen schon ab 5 Uhr morgens, wenn die Wintersportler noch in warmen Federn liegen. Es ist ein Luxus, wie wir von Jonny erfahren: Während es z. B. in Kanada noch immer keinen Lawinenbericht gibt, ist er im Alpenraum feste Instanz.

Der Lawinenlagebericht der App zeigt eine Karte mit Gefahrenzonen, die von 1–5 reichen und in entsprechenden Farben angezeigt werden. Wir zoomen in unseren Standort hinein und stellen fest, dass wir rund um das Madlenerhaus in Stufe 2 liegen. Unser Bergführer erklärt uns die verschiedenen Stufen und eine Beurteilung des Einzugsgebiets. Um sich im Gelände zu bewegen, selbst bei Lawinenwarnstufe 2, braucht es einfach mehr als eine rotzige Schulbildung. Lawinenstufe 3 ist dann prompt die gefährlichste Stufe. Bei 4 und 5 geht sowieso kein vernünftiger Mensch. Dagegen wird 3 oft gravierend unterschätzt, daher passieren gerade dann die meisten Unfälle. Die Gefahr steigt zudem exponentiell. Somit ist also der 3er nicht nur ein bisschen gefährlicher als der 2er, sondern gleich doppelt so gefährlich.

OK, Kurvenverläufe mag man in der Schule noch locker weggeschluckt haben, aber wie steht es um das aufmerksame Lesen? Jonny ist so einer, er kann den Schnee lesen. Kein Wunder, schließlich ist er hier aufgewachsen und befindet sich 364 Tage im Jahr draußen ;). Er greift zum Zuckerstreuer, lässt die Körner rieseln. „Wenn der Altschnee Kristalle bildet, gibt es wie beim Zucker keine Bindung, bei entsprechenden Bedingungen kann die ganze Schneedecke abrutschen.“

Wir erfahren noch mehr zu Schneeschichten, Höhenlage, Hangneigung und -exposition, Wetter, Wind, Gruppengröße, früher Tourenstart und eigenes Können. Alles Faktoren, die man berücksichtigen muss. Ergänzt um die Snow-Card und die App, die neben der Lawinenlage u. a. mit einem Wetter- und Schneebericht den Wintersportler informiert. Und der ist nicht nur Skitourengeher. „Auch Schneeschuhwanderer sollten sich mit den aktuellen Bedingungen intensiv auseinandersetzen, da sie tiefer einsinken und so stärker auf untere Schichten einwirken.

Jonny versichert uns, dass jedes Programm, so auch dieser Schnuppertag, je nach Wetterlage und Niveau der Gäste individuell angepasst wird. Na dann, let’s go for it!

Los geht's zum "Wow-Erlebnis"

Wir lernen Felle aufzuziehen und die Bindung und Schuhe richtig einzustellen. LVS-Gerät korrekt umgebunden, aktiviert auf „Senden“ und los geht’s – nachdem Jonny noch die Funktion unser LWS-Gerät sichergestellt hat. Check.

Wir gehen die ersten Schritte in mäßiger Steigung – aber das kann ja noch anders werden. Deshalb kurzes Yoga-Training: Spitzkehren-Übung.

Dann das Wow-Erlebnis. Hier ist man bereits nach den ersten Metern geflashed. So viel Unberührtes. Die Sehnsucht nach Ruhe, Draußensein und Bewegung – pures Gesichtsmuskeltraining. Man kann gar nicht anders, die Mundwinkel ziehen sich von unsichtbarer Hand nach oben.

Was sagen uns die Haifischzähne?

Wir gewöhnen uns schnell an das Material und sind überrascht, dass man es bei leichter Hangneigung trotz Felle leicht rutschen lassen kann. Sobald es etwas steiler nach oben geht, zeigt uns Jonny die Abstände, die wir einhalten sollen, da als Gruppe ein schweres Gewicht auf die Schneedecke drückt und auch jeder Einzelne Schwingungen verursacht.

Es wird bissig: Wir lernen, wie man die Zeichen im Schnee interpretiert. Was sagen uns die Haifischzähne? Aus welcher Richtung kommt der Wind? Wir zeigen den Zähnen unser schönstes Lächeln und gehen im Abstand davon, dankbar um Spurenleger Jonny.

Moments of Happyness Impression #1

Männer in Kniebundhosen

Wir werden aus den Träumen gerissen und finden uns zur Stärkung im Madlenerhaus ein. Auf unsere, über dampfendem Teller gebeugten Köpfe blicken Männer in Kniebundhosen, Lederschuhen und dünnen Ski von den Wänden. Bei all unserer High-Tech-Ausrüstung empfindet man für diese Puristen einfach nur tiefe Bewunderung.

So gesellig ein Mittagessen auf der Hütte ist, es juckt uns unter den Nägeln und wir freuen uns auf die weitere Tour. Beim weiteren Aufstieg lernen wir noch die Neigungswinkel-Messfunktion der App und dass an Hängen, an denen der Fels zum Vorschein kommt, die Neigung ca. 40° beträgt. Apropos brutale Hänge: Beim Blick zurück erkennt man den gefrorenen Wasserfall, an dem man Eiskletterkurse buchen kann.

„Jetzt fahren wir Ski"

Wird es etwas steiler, kann man die Steighilfen nach oben stellen, was hintenraus PS bringt. Unser Anstieg ist jedoch moderat, die Staumauer des Silvretta-Stausees kommt schnell näher und wir können die Haken und Drahtseile an der riesigen Staumauer ausmachen: Dort gibt es nämlich einen Klettersteig. James Bond hätte gar nicht springen müssen.

Wir schieben uns auf dem Steg entlang der Staumauer zum Silvretta-Haus und steigen von dort weiter auf. An das Yoga haben wir uns gewöhnt, die Spitzkehren gehen jetzt zügiger. Entfernt betrachtet mag es an Hunde erinnern, die – ohne sich umzudrehen – ihr Hinterbein nach hinten ausschütteln. Dennoch eine perfekte Präsentation hier.

Plötzlich hält Jonny und meint: „Jetzt fahren wir Ski". Eine schönere Ansage hätte er nicht machen können, schließlich stehen wir vor unverspurten Tiefschneehängen, die sich über sanfte Hügel nach unten ziehen. Ein paar Schwünge, und man ist im Rausch. Herzklopfen. Wir schauen uns an und nicken: Ja, noch weiter hinab, in Richtung Paznautal. Man hätte noch ewig die flach abfallenden Powder-Hänge hinabschwingen können, doch es ist schon Nachmittag. Also wieder Felle aufziehen und hochstapfen zwischen Schneehügeln. Man fühlt sich in einer anderen Welt, umgeben vom einheitlichen Weiß, das sich im Sonnenlicht glitzernd vom dunkelblauen Himmel abhebt.

Moments of Happyness Impression #1

Der Blick zum Piz Buin und der Hund...

Wir erreichen den einzigen Lift auf der Bielerhöhe, der uns die letzten Höhenmeter abnimmt – ein letztes Mal Felle abziehen. Nochmal ein verstohlener Blick zum Piz Buin, dem höchsten Berg Vorarlbergs und Namenspate für eine Sonnencreme. Jonny erklärt uns, dass der Name aus dem Rätoromanischen kommt und Ochsenspitze heißt. Vielleicht ganz gut, dass man dieser Sprache nicht so mächtig ist. Wer hätte sich schon freiwillig so etwas in Gesicht geschmiert.

Spannung bis zum letzten Moment: Auch wenn es uns verleitete, am Ankerlift nochmal ein paar Spuren im Tiefschnee zu hinterlassen und nochmals hoch zu liften, werden wir aus den Träumen gerissen. Jonny ist perfekt organisiert und hat die Uhr im Blick. Er zeigt uns noch die Nutzung der Sonde und Schaufel und versteckt sein LVS-Gerät. Buddeln, buddeln – da ist er wieder, der Hund.

"Auf den genialen Tag!"

Spannung bis zur letzten Minute: Gerade noch rechtzeitig kommen wir zur Bushaltestelle, um das letzte „Tunneltaxi“ für heute zu bekommen. Der Busfahrer ist bestens gelaunt, die Insassen noch mehr. Kein Wunder, sie sind Endorphin-getränkt und schwelgen in Gedanken. Zumindest bis der Busfahrer mit kaum abgebremstem Tempo in den schmalen Stollen sticht – der wenige Zentimeterabstand links und rechts scheint wohl in seinen Genen verankert. Kaum drin, hält er doch: Das Tor wird zugezogen, der Tunnel hat für heute Feierabend (es sei denn, man hat Lust auf ein mind. 150-€-Ticket für eine Spätrettung).

Mit Herzlichkeit erwartet uns dann auch Frau Stöckl, die das Equipment entgegennimmt – in Austausch gegen einen Obstler. Na dann - Auf den genialen Tag!

Was ein Tag! Der Schnupper-Skitourentag ist für alle, die einen Einblick in das Skitourengehen erhalten wollen. Dabei ist es egal, ob man Neuling ist, Kenntnisse auffrischen oder einfach mal einen entspannten, perfekt organisierten Tag im Off rund um die Bielerhöhe erleben will. Was zählt, sind die Leidenschaft für Natur und Wintersport, Geselligkeit und die Neugierde auf Neues. Mit der Gefahr, dass das Skitourengehen der Beginn einer neuen Leidenschaft wird.

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