Geschichte(n)erzähler
Michael Kasper und Friedrich Juen als Vermittler des historischen Erbes
Michael Kasper ist gerne Montafoner. Gleichzeitig ist der Leiter der Montafoner Museen ein kritischer Geist, der den richtigen Umgang mit dem historischen Erbe des Tals mit wachem Auge beobachtet. Wie der Heimatkundler Friedrich Juen versucht er aus der Vergangenheit zu lernen, um für Gegenwart und Zukunft gerüstet zu sein.
Michael Kasper sagt über sich selbst, dass seine Liebe zum Montafon manchmal erst auf den zweiten Blick zu erkennen sei. Wenn er mahnend den Finger hebt und nicht mit allem im Tal einverstanden ist, dann hat er seine guten Gründe. Die Montafoner seien eigen und behandeln ihre Geschichte „einmal besser, einmal weniger gut“. Gar nicht glücklich ist er, wenn mit alter Bausubstanz nicht gut umgegangen wird. Auch in der Landwirtschaft oder im Handwerk seien traditionelle Werte und überliefertes Wissen teilweise verloren gegangen. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu stark verwässern.“
Bezug nach außen
Was man aus der Montafoner Vergangenheit lernen kann, würde ganze Bücher füllen, sagt Michael Kasper. „Aber wenn ich ein Beispiel herausgreifen soll, dann knüpfe ich an unserem traditionell starken Bezug zu anderen Regionen an.“ Ährenleserinnen, Krautschneider und Sensenhändler seien früher über mehrere Monate unterwegs gewesen, um sich Einnahmen außerhalb des Tals zu erschließen. Maurer und Zimmerleute zog es nach Deutschland oder Frankreich und sie brachten so manche neue Eindrücke mit. Das Vorbild für den späteren Montafoner Tisch etwa haben reisende Handwerker auf Schlössern im Ausland gesehen. Gegen ursprüngliche Bedenken im Tal schufen sie eine Montafoner Ikone, die längst überall größte Anerkennung genießt. „Eine gute Idee hat immer ihren Wert. Bleiben wir also bei aller Liebe zur Tradition auch offen für Neues“, appelliert Michael Kasper, aus der Geschichte die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Eine Geschichte, die übrigens international beachtet wird. So wurde der Montafoner Dialekt, bei dem sich rätoromanische Wörter mit Walliser und Niederalemannischen Einflüssen mischen, von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Davor wurden bereits die Montafoner Erzähltradition und das beim Funken in Gortipohl übliche Scheibenschießen von der UNESCO ausgezeichnet.
Historische Vielfalt
Einig sind sich Michael Kasper und Friedrich Juen, dass das Montafon auf überschaubarem Raum viel an kulturlandschaftlicher Vielfalt zu bieten hat – gerade auch im Vergleich mit anderen Tälern.
Friedrich ist „im richtigen Leben Rettungsmann und grüne Hand bei der Gargellner Bergbahn“. Dass er in seiner Freizeit zum leidenschaftlichen Heimatkundler wurde, hat Wurzeln, die lange zurückliegen. Als Bauernbub, der stolz auf seine Herkunft ist, sei er in einem geschichtsträchtigen, bis 1598 zurück dokumentierten Haus aufgewachsen. Immer wieder seien Historiker gekommen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Der kleine Friedrich hörte ihnen mit großen Ohren zu und spürte, wie spannend der Blick zurück sein kann. „Außerdem bin ich von Natur aus neugierig und habe viele Fragen. Mit den Antworten bin ich oft in der Geschichte gelandet.“ Wenn er erst mal in Fahrt kommt, dann sprudeln die Erzählungen nur so: Beispielsweise die vom Pioniergeist seines Ururgroßvaters, der 20 Jahre als Verputzer in Frankreich gearbeitet hatte und mit dem verdienten Geld das Grand Hotel Madrisa baute. Zu dieser Zeit kamen auch die ersten Reiseschriftsteller ins „exotische Montafon“. Einer von ihnen beschrieb Gargellen als „Königsschloss, zu dem eine Hühnerleiter führt“, hat Friedrich Juen nachgelesen. Die beschwerlichen Straßenverbindungen hinderten Professoren, Künstler, Literaten und Ärzte aus ganz Europa aber trotzdem nicht daran, ins Tal zu kommen.
Geschichte leben
Ein großes Anliegen ist Friedrich Juen wie Michael Kasper, die gewachsene Kultur des Tals an Einheimische und Gäste zu vermitteln. „Geschichte ist ein aktiver Prozess. Sie kann nur erhalten werden, wenn sie gepflegt und gelebt wird. Die Region hat viel zu erzählen, lassen wir sie sprechen.“ In der richtigen Dosis und ohne Kitsch und Klischees könne die Vergangenheit ein wertvoller Begleiter für Gegenwart und Zukunft sein.
Und wie beschreiben die Historiker den typischen Montafoner? Sicher „ega“ (eigen) sei er, findet Friedrich Juen. Ein Kämpfer, der es in einer alpinen Landschaft immer verstanden habe, sich durchzusetzen. Für Michael Kasper trifft die Beschreibung „hart, aber herzlich“ auf die Talbewohner zu. Gerade Gäste wüssten diese Herzlichkeit, die sich oft nicht beim ersten Treffen zeigt, sehr zu schätzen, weil sie das in der Form nicht gewohnt seien.
Wer den beiden zuhört, versteht schnell, dass Geschichte nichts Verstaubtes ist, sondern mitten im Leben steht. Das Montafon sei „eine einzige Entdeckungsreise, bei der jeder viel für sich finden kann“.
Montavon
Da wäre es doch Zeit für eine abschließende, fast schon vergessene Anekdote aus dem „Montafoner Lesebuch“, das Michael Kasper mit Andreas Rudigier veröffentlicht hat: 1956 gab es in Vorarlberg eine heftige Diskussion, ob Montafon mit f oder v zu schreiben sei. Ein Erlass der Landesregierung gab das v vor. Kundgebungen gegen das Diktat von oben und ein kleines politisches Erdbeben waren die Folge. Am Ende setzten die Montafoner ihre Tradition durch und so blieb es beim f ...
Wie sagte Friedrich Juen so schön: Wenn es um ihre Interessen geht, können die Montafoner ganz schön hartnäckig sein. Auch das haben sie in der Geschichte oft bewiesen.