Einfache Schneeschuhwanderung Gauertal-Sanüel

Gipfelpanorama, Tradition und etwas Gänsehaut

Nach einigen Skitagen habe ich Lust, die Muskeln anders anzusprechen. Und „ehrlich“ ins Laufen zu bringen, fernab von Liften und Gondeln. Et volià, Schneeschuh-Wanderung Sanüel-Gauertal.


Die Halbtagestour im BergePLUS Programm Montafon spricht Einsteiger und Genießer an. Und alle, die die motor- und stromfreie Fortbewegung kennenlernen möchten.
Treffpunkt ist in Latschau an der Golmerbahn. Unsere Wanderführerin Monika hat ein ganzes Arsenal an Schneeschuhen und Stöcken zur freien Nutzung dabei – sofern man keine eigenen besitzt. Lediglich in gute Winterwanderschuhe sollten die Füße stecken.
 

Energie pur

Wir starten in den Winterwanderweg neben der Talabfahrt und werfen einen Blick auf das Lünerseewerk unter uns. Nicht gerade idyllisch, könnte man meinen – dafür umso bedeutender: Das Elektrizitätswerk der illwerke vkw AG wird über Druckrohrleitungen und -schächten aus dem knapp 1000 Meter höhergelegenen Lünersee gespeist. Seine Geschichte beginnt gleich mit einer Auszeichnung: Zur Fertigstellung in den 1960er-Jahren war es das leistungsstärkste Pumpspeicherkraftwerk der Welt. Mit Superlativen geht es gleich weiter: Golm Silvretta Lünersee wurde zum ersten klimaneutralen Tourismusgebiet in Österreich ernannt. Die Akteure? Die Hüttenkopfbahn als erste Photovoltaik-Sesselbahn der Welt, Drainagesystem für die Beschneiung bis hin zu regionalen Anbietern zur kulinarischen Stärkung. Apropos stark: Im Schauraum des Lünerseewerks kann man die Maschinenhalle der Kraftwerke durch Panoramascheiben fast hautnah erleben.

Auf großem Fuß

Wir laufen unelektrisch weiter und gewöhnen uns schnell an unsere Quadratlatschen. Sie lassen das Begehen jeder Art von Schnee leicht von den Füßen gehen  – von wässrig, eisig bis tiefem Powder. Nach wenigen Minuten erreichen wir die Alte Säge in Latschau. „Mülli Ferdi“ lesen wir auf dem Schild. Sie wurde nach der Getreidemühle und dem ehemaligen Besitzer der Säge aus dem 18. Jahrhundert, Ferdinand Loretz, benannt. Über vier Meter im Durchmesser soll das hölzerne Wasserrad haben, das über Schwungräder für die Auf- und Abbewegungen des Sägeblatts sorgt. Man kann das Sägewerk besichtigen, erklärt unsere Wanderführerin Monika. Zum Beispiel im Rahmen der Kräuterwanderung oder im Herbst-Programm Schausägen und Führung: Luaga, Losna & Stuna.

Es geht weiter aufwärts und wir testen zum ersten Mal die Steighilfe der Schneeschuhe. Wenn man solche Hilfsmittel hat, frägt man sich schon, wie Hannibal – und vor allem seine Elefanten – über ganze Gebirgskämme gekommen waren. Die Geschichte der Schneeschuhe ist jedenfalls lang und soll vor über 4.000 Jahre im Kaukasus ihre Wurzeln haben, damals noch mit Leder und Holz. Egal, wir sind dankbar für solch eine Unterstützung im immer tiefer werdenden Schnee.

Bewegte Handwerkskunst

Die Steigung ist sehr moderat und kurz, so können wir die Landschaft in vollen Zügen genießen. Nach einer Spitzkehre im Aufstieg erreichen wir das Maisaß Sanüel. Mit spannenden Einblicken: Monika berichtet vom ehemaligen Hirtenleben und der jahrhundertealten Montafoner Maisäßtradition. Je nach Witterung verweilen die Bauern für ein paar Wochen im Mai bis Juni auf mittlerer Höhe, bevor das Vieh für den Sommer weiter oben auf der Alpe Höhenluft schnuppert.


Spannende Zeitzeugen: Unsere Wanderführerin zeigt uns die Strickbau genannte Hauswand-Konstruktion aus horizontal aufeinander geschichteten Rund- oder Kanthölzern und ausgestellten Eckverbindungen. Sie sollen den Bewegungen der eiszeitlichen Ablagerungen, Lawinen und Erdrutschen trotzen. Handwerkliche Fertigkeiten, präzise Holzauswahl, kunstvolle Eckverbände sprechen ihre eigene Sprache an Flexibilität und Stabilität – ohne gleich eine Patina vom schiefen Turm von Pisa zu erhalten.
 

Schlepper, Schmuggler und etwas Gänsehaut

Wir sind froh, festen Untergrund zu haben und stapfen gemütlich weiter, setzen ein paar weitere Kehren an, einige Meter nach oben und plötzlich stehen sie vor uns: die imposanten Drei Türme (2830 m).

Umgeben von Drusenfluh und Sulzfluh mag man den reizvollen Gipfeln des Rätikons am liebsten ganz nah auf die Pelle rücken. Die Schneeverwehungen ganz oben, zwischen den Zacken der Drei Türme, machen aber deutlich, dass es sich hier um kein zahmes Biest handelt. Eine ganz eigene Geschichte hat es auf jeden Fall schon mal, wie uns Monika erklärt: Genau am Kamm gibt es eine gestrichelte Linie, die in den 30er-Jahren für viele Deutsche und Österreicher lebensrettend war. Schlepper lotsten jüdische Flüchtlinge durchs Schweizertor, Schlappiner Joch oder über den Sarotlapass auf ein vermeintlich sicheres Gebiet ins Prättigau und ins St. Galler Rheintal. Teilweise versorgt mit Wanderschuhen aus Österreich, andere ohne jegliche Hilfe. In den Memoiren von Anderl Heckmair, Erstbesteiger der Eigernordwand, liest man, wie er die berüchtigte Drusenfluh-Südwand durchstieg – und dabei auf Leichen stieß, die nicht durchgekommen waren.


Wir lassen die Gänsehaut fallen, machen Pause und genießen dir tolle Aussicht. Monika nutzt die Gelegenheit, um uns in den Gebrauch des Lawinensuchgeräts einzuweisen. Auch als Schneeschuhwanderer muss man die Route genau planen, den Lawinenlagebericht kennen und entsprechend ausgerüstet sein. Klingt übertrieben? Im Gegensatz zu Skitourengeher sinkt man mit den Schuhen tiefer ein und kann so unter bestimmten Umständen, bei starker Hangneigung und unterschiedlichen Schneeschichten, Lawinen auslösen.

Ideen-getränkt

Unser Areal war aber flach, wir werfen den Drei Türmen einen letzten Blick zu und gehen durch Tiefschnee hinunter bis zum Weg, der von der Mäisäßlandschaft Gauertal bis zur Lindauer Hütte verläuft. Rumms, die Ruhe wird kurzzeitig unterbrochen durch … ja was? Wohl ein vorbeiflitzender Rodel. Eine coole Sache: Mit Schneeschuhen bis zur Lindauer Hütte, süße Sünden wie Kaiserschmarrn einverleiben und mit dem dort leihbaren Rodel runter – diese Unternehmung findet nun auch auf meiner To-do-Liste Platz.


Wir streifen ein Haus aus dem Besitz der bekannten Familie Dönz, über die es nun ein Buch gibt, wie uns Monika erzählt: Sabine Grohs stützt sich in ihrem Werk „Dönz - So weit man weiß“ auf über 200 Briefe aus dem Kreis ihrer Urgroßeltern und Großeltern, die zwischen 1895 und 1947 geschrieben wurden. Prallgefüllt mit belegten Tatsachen aus über mehr als 150 Jahren quer durch Europa, im Fokus: zwei Generationen, zwei Nationen, zwei Kriege – aber nur eine Heimat. Hat mich irgendwie neugierig gemacht.
 

Einfache Schneeschuhwanderung Gauertal-Sanüel Impression #1

Einen letzten Schwenk runter auf schmalem Pfad, entlang des Rasafeibach und kurze Zeit später stehen wir wieder am Ausgangspunkt. Vollgefüllt mit Eindrücken aus einer traumhaften Winterlandschaft, traditionellen und historischen Belegen, netten Menschen – und einer Menge Ideen zu weiteren Unternehmungen.

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