Gipfelglück in den Montafoner Bergen

Diese Saison musste ich einfach öfter mal in die Berge, nach all dem Workload und Reglementierungen durch die Pandemie. Der Laptop kann ja mit. Tagsüber beachtet er mich kaum. Meine Bikeschuhe und Wanderstiefel dafür umso mehr. Warum es mich immer wieder ins Montafon zieht? Man muss es erlebt haben – kurz kann man es so zusammenfassen: authentische Dörfer, unfassbar schöne Berglandschaften und -erlebnisse, nette Menschen. Und eine ehrliche Haut. Die muss man nicht mal auf Plakaten erfahren wie „bei uns haben Gäste kein Schoßhündchen, sondern Muskelkater“, das wahre Gefühl schwappt von alleine über. Manchmal, nach einer langen Tour, tatsächlich unbarmherzig in den Waden.

Nach einigen Berg- und Biketouren macht sich im Herbst eine andere Stimmung breit: wohlige Ruhe. Ich habe Lust, sie mit allen Sinnen aufzunehmen und melde mich spontan beim BergePlus-Programm für die Wandertour aufs Muttjöchle am darauffolgenden Tag an.

Am Treffpunkt an der Talstation Kristbergbahn im Silbertal wartet Imelda auf mich. Die Wanderführerin strahlt mich an, ich bin heute – am letzten Tag des Sommerwanderprogramms – ihr Einzelgast. Was ein Privileg!

An der Bergstation – diese ersten Höhenmeter schenkt man sich hier gerne – startet der Weg auf den nur 700 Meter höher gelegenen Gipfel des Muttjöchle. Auf schmalem Pfad über Wurzeln und samtweichem Waldboden gewinnen wir im naturbelassenen Gebirgswald schnell an Höhe. Das „schnell“ streichen wir gleich, tauschen uns aus, lassen Gedanken freien Lauf und genießen die Ausblicke, die zwischendurch immer wieder freigegeben werden – wie etwa auf die Rote Wand im Lechquellgebirge.

Saison-Ausklang am Muttjöchle Impression #1

Gipfelträumerei

Meine Wanderführerin holt mich von Gipfelträumereien auf den Boden zurück: Die Blicke nach unten offenbaren Natur pur. Imelda zeigt Moose, Flechten und Beeren – der Adventskranz bastelt sich hier von selbst. Plötzlich ändert sich die Szene: Wir kommen vom Wald auf weite, freie Flächen. Eine alpine Moränenlandschaft mit Mooren im Herbstsonnenlicht. Das violette Farbspiel … nur unterbrochen von moosbedeckten Felsbrocken aus Silvretta-Kristallin, Zeugen der Eiszeit-Landschaft zu Sid’s Zeiten. Man taucht ein, in die Farben des Indian Summers im traumhaften Verwall im Montafon. Canada ... can wait. Die frische Herbstluft hier oben – die Tour scheint wie geschaffen, um die Welt der Sinne zu erkunden. Die Preiselbeeren schmecken auf der sonnenbeschienenen Hochfläche ungleich süßer als weiter unten. Dass es auch entscheidend sein kann, die Farbe Blau von Weiß unter der Schale von blauen Beeren zu unterscheiden und sich so für Genuss statt Bauchweh zu entscheiden, geht auch auf Imeldas Konto: Danke für die leckeren Heidel- statt Rauschbeeren am Weg.

Weiter geht es über Steine und Geröll auf gut gepflegten Pfaden immer weiter nach oben. Imelda zeigt nach unten: Auf abgegrenzten Almwiesen weiden die Montafoner Steinschafe. Auch sie sind ein Original und zeigen es an ihrem Gütesiegel am Ohr. Das Montafonerschaf wurde durch größere, mastfähigere Rassen verdrängt und war vom Aussterben bedroht. Hier weiden nun wieder robuste ursprüngliche Tiere. Dass sie besonders sind, zeigt bereits ihr Fell, prall gefüllt mit Attributen wie gesundheitsfördernd, resistent, wärmend, weich, saugfähig. Die kann man sich auch direkt rein- und anziehen, ob als Kissen- und Deckenfüllung, Socken, Handschuhe oder Schuheinlagen.

Der Pfad nach oben führt vorbei an Moorwiesen mit kleinen Seen, ein wahres Lebenselixier: Feuchtmoore, die CO2 aus der Atmosphäre in langlebigem Torf binden – allein in den oberen 50 Zentimetern rund vier LKW-Ladungen (150 t) pro Hektar. Weltweit bedecken sie lediglich 3 Prozent der globalen Landfläche, binden in ihren Torfschichten mit rund 150 – 250 Mio. Tonnen CO2 jedoch ein Drittel des Klimagases – doppelt so viel wie alle Wälder zusammen. Man blickt ehrfürchtig auf diesen Klimaschutz-Weltmeister, der im Vorarlberg gut ein Viertel des österreichischen Bestands ausmacht. Und im Gegensatz zu anderen Regionen auf der Erde nicht trockengelegt und so auch nicht von CO2-Senken zu CO2-Schleudern wird. Allein in Deutschland steigen rund fünf Prozent des Treibhausgases aus trockengelegten Mooren auf. Ich denke nach über Agrarsubventionen, den (ja, auch eigenen) Konsum sowie all die Klimaschutzkompensationen – und über die Vernachlässigung solch effizienter naturgegebener Geschenke. Wenn wir den Fleischkonsum überdenken, die Landwirtschaft umdenken und selbst für neue geflutete Moorflächen landwirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten finden, wie z. B. spezielle bekömmliche Moorgräser für Nutztiere, als Torfersatz für Gartenanlagen oder zur Herstellung von kunststofffreien Verpackungsmaterialien...

Auf unseren letzten Metern nach oben werde ich aus den Gedanken gerissen, der Blick gibt ein immer größeres Panorama frei. Gegipfelt durch die 360°-Rundumschau ganz oben, am Muttjöchle-Gipfel. Dank meiner Wanderführerin hat jeder Peak dann auch gleich ein Namensfähnchen erhalten. Da kann so manche App einpacken, um neue Ziele auszumachen. Der Blick reicht vom Brandnertaler Gletscher, der Zimba, weiter über Bartholomäberg, hinüber in den Bregenzerwald und das Lechgebirge bis hin zum Gebirge der Silvretta.

Kein Wunder, dass sich hier einige zur Brotzeit gemütlich niederlassen. Und wer hätte das gedacht: Man trifft hier auch mal den Landeshauptmann Vorarlbergs an, der gerne ein paar Worte wechselt und weitere spannende Informationen über Bergtouren und-regionen verrät. Weil der Weg so abwechslungsreich und schön war, sind wir auf demselben Pfad abgestiegen. Das Farbenspiel und die Ausblicke anders herum zeichnen dann doch wieder ein ganz neues Bild.

Die Wanderung aufs Muttjöchle durch Waldpfade, Moore, Wiesen und Geröll ist einfach, kurzweilig und jedem versierten Wanderer zu empfehlen. Die Aussicht vom Gipfel oben mag den einen oder anderen aber doch umhauen. Gehypte Superlative brauchts im Montafon nicht (auch wenn es mit der schnellsten 8er-Sesselbahn Vorarlbergs und dem Piz Buin als höchsten Berg Vorarlbergs einige gibt). Man definiert sich hier den Superlativ selbst und bringt ihn auf die erste „Steigerungs“ form runter. Nicht umsonst heißt diese „Positiv“. Weniger ist mehr.

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