Über den eigenen Zaunrand blicken

Eigentlich mag ich keine Zäune: Menschen sperren sich damit selber ein, im Bestreben fremde Blicke fernzuhalten. Doch eine Ausnahme gibt es: Den traditionellen Montafoner Schragazu. Das ist ein Zaun, ganz ohne Nägel, nur aus Holz zusammengesteckt. Als ich hörte, dass der Heimatschutzverein Montafon ein Seminar dazu anbietet, habe ich mich sofort dafür angemeldet. Die Chance muss ich einfach nutzen – wer weiß, wie lange dieses alte Wissen noch weitergegeben wird.

Mit den Autos fuhren wir von Lautschau ins Gauertal zum Maisäß, wo der Kurs stattfinden sollte. Drei der neun Kursteilnehmer sind sogar extra zwei Stunden aus dem Kleinen Walsertal angereist, um dieses alte Kulturerbe aus dem Montafon zu erlernen. Den Kursleiter Friedrich Juen kannte ich schon von der Theaterwanderung in Gargellen. Er begeisterte mich dort schon mit seinen Schmugglergeschichten und ich war gespannt, wie er den Kurs gestalten würde.

In der Ausschreibung stand, man solle eine Axt mitnehmen, die gut in der Hand liegt. Als ich dann aber Friedrichs scharf geschliffene Äxte sah, lies ich meine doch lieber im Rucksack. ;) Nach einer kurzen Einführung durften wir selbst Hand anlegen und mit der Herstellung der „Stäcka“ beginnen. Diese 1,5 – 1,8 Meter langen Fichtenäste werden am besten in den Wintermonaten geschnitten und geschält, denn dann lässt sich die Rinde am einfachsten abziehen. Die Rinde wird von den Ästen entfernt, damit diese länger halten. Laut Friedrich kann ein Schragazu bis zu 15 Jahren oder sogar länger halten.

Schnell wurde uns klar: So ein Zaun ist sehr arbeitsintensiv und wer sich die Mühe macht, tut dies aus Liebe zum Handwerk. Nach einer gefühlten halben Stunde hatte ich meinen ersten Ast schön geschält. Friedrich hat zum Glück viel Vorarbeit geleistet und genug „Stäcka“ vorbereitet. Sonst würden wir heute noch dasitzen. Viele Vorbereitungsarbeiten wurden früher im Winter erledigt, da das Holz dort noch nicht im Saft liegt und deshalb besser zum Bearbeiten geht. Am Nachmittag kam der einfache Teil, wie Friedrich meinte: Das Zusammenstecken sei dann „mehr Hobby als Arbeit“. Nach den ersten paar Metern Zaun kamen wir immer mehr in Schwung und der Zaun stand im Nu. Ich werde ihn nun jedes Mal bewundern, wenn ich durchs Gauertal zur Lindauerhütte gehe.

Zur Geschichte des Schragazu – von Friedrich Juen

Der Montafoner „Schragazu“ oder „Scheiazu“ trennt oft öffentliche Wege, bäuerliche Anwesen und Alpen voneinander. Im benachbarten Prättigau wird er „Schreegzaun“ oder „Graggenzaun“ genannt und ist zum Teil noch recht häufig zu finden. Die besondere Art der Herstellung verlangt einige Fertigkeit. Ohne Nägel und Schrauben hat der Zaun eine bemerkenswerte Festigkeit. Jeder Grundbesitzer dessen Grund an öffentliche Grundstücke oder Alpen grenzte hatte die Pflicht und das nötige Können den Zaun zu erhalten. Kam er dieser Aufgabe nicht nach so war er selbst verantwortlich, wenn fremdes Vieh auf sein Grundstück kam. Wenn er trotz mehrmaligen Aufforderungen seiner Zaunpflicht nicht nachkam so wurde ihm in der Nacht von allen Anrainern der Zaun fein säuberlich abgelegt. „Ein Wink mit dem Zaunpfahl“. Nun musste der Zaunpflichtige so schnell als möglich den Zaun wieder erstellen. Im Laufe des Aufbaus gesellten sich immer mehr Nachbarn zu Ihm und halfen ihm beim Zäunen. Somit konnte niemandem eine Schuld zugewiesen werden. In einer Zeit da fast alles, vom Bauholz über Dachschindeln bis zum Brennholz die Wälder belastete war der Schragazu als Holzfresser sehr verrufen. Im Holz Servitut des Maisäß Vergalda aus dem Jahre 1884 waren die 13 Grundbesitzer berechtigt jährlich 4 Stämme 11 m lang und 26 cm dick zu beziehen. Hier wird auch erwähnt, dass im Maisäß Vergalda ca. 4.000 Meter Holzzäune errichtet sind.

Montafon TV Beitrag: Schragazu-Seminar im Silbertal

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